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Über das reine Produzieren hinausgedacht - Interview mit IFS

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Vor gut zwei Jahren hatte IFS die IFS Cloud vorgestellt. Dafür wurde das Portfolio für alle Branchen auf einer Plattform vereint. Ein Gespräch mit Thomas Knorr, Sales Director Installed Base & Channel/VP Alliances DACH bei IFS, über die Rolle einer integrierten Plattform im Fertigungskontext.

connect professional: IFS hat sein Lösungsportfolio für alle Branchen auf einer Plattform gebündelt. Wären Schnittstellen nicht auch ein gangbarer Weg gewesen?
Thomas Knorr: Grundsätzlich kann man zwar sagen, dass Schnittstellen heutzutage besser funktionieren als noch vor 15 Jahren, sie sind aber noch immer mit etwas Risiko behaftet. Ich sage gerne: Jede Schnittstelle, die man nicht braucht, ist eine gute. Das ist die technische Seite; das andere ist vom Anwender ausgedacht: Heutzutage gehören die Mitarbeiter einer anderen Generation an, die andere Ansprüche hat. Wenn man da sagen würde, dass man sich für die tägliche Arbeit in drei verschiedenen Systemen anmelden muss, und die Systeme zudem unterschiedlich aussehen und zu bedienen sind, dann ist das mittlerweile eher schwierig. Kommt dann noch hinzu, dass Wartezeiten entstehen, weil erst einmal die Schnittstellen miteinander kommunizieren müssen, dann funktioniert das nicht mehr.

connect professional: Wie ist IFS Cloud technologisch aufgestellt?
Knorr: Die IFS Cloud ist komplett auf Docker-Containern in einem kubernetischen Verbund aufgebaut. Dabei ist der große Vorteil die Skalierbarkeit, denn wir haben Kunden mit 30 Usern bis hin zu solchen mit 350.000 Usern. So bekommen unsere kleineren Kunden genau das gleiche System wie unsere globalen Brands.

connect professional: Quer über alle Branchen?
Knorr: Genau, es ist das gleiche System für all unsere Branchen. Sie können sich das so vorstellen: Wir haben die Plattform, da sind Services drin wie ML oder Datenbank-Services und die Businesslogik. Darauf lassen sich dann die Komponenten aufsetzen.

connect professional: Welche Vorteile für den Alltag in der Fertigung haben AnwenderInnen von einer integrierten Lösung?
Knorr: Die Fertigung wandelt sich gerade. Dadurch sind wir mit Themen konfrontiert wie der Automatisierung. Der Schwerpunkt unseres aktuellen Releases liegt beispielsweise auf dem Bereich MOM, also Manufacturing Operation Management, und dem Manufacturing Execution System; dabei ist das MES eben nicht separat, sondern Bestandteil des ERP-Systems.

connect professional: Wie war die Historie der beiden Systeme ERP und MES im Fertigungsumfeld?
Knorr: In der Vergangenheit hatte man als Unternehmen ein ERP für die Grobplanung der Fertigungsaufträge; wurde aber ein Execution System gebraucht, musste man es sich vom Markt besorgen. In der Folge waren viele Fragen zu klären: Wie binde ich das an? Wie sprechen die beiden Systeme miteinander? Wir wollten einen anderen Weg gehen: Da es unsere Cloud-Plattform hergibt, mit großen Mengen an IoT-Daten umzugehen, haben wir das MES einfach selber als funktionale Komponente in IFS Cloud zur Verfügung gestellt.

connect professional: Was können Fertigungsunternehmen damit machen?
Knorr: Damit lässt sich die Maschinensteuerung quasi direkt aus dem ERP übernehmen, aus der Manufacturing Work Bench. Auf diese Weise bekomme ich die produzierten Stückzahlen, Störzeiten und weitere Informationen zurückgemeldet – und zwar automatisiert von der Maschine und den Sensoren. Gleichzeitig lässt sich noch eine Wartungsstrategie darauf ausrichten.

connect professional: Etwas, was sich als Zusatzservice anbieten lässt?
Knorr: Genau. Die Unternehmen produzieren und verkaufen heutzutage nicht mehr nur, sondern sie überlegen auch, wie sich Umsatz nach dem Verkauf generieren lässt. Wartungsverträge anzubieten ist ein Weg. Das ist einfacher, wenn ich die Maschine kenne und zwar nicht nur die Maschine, die bei mir in der Produktion steht; sondern auch diejenige, die ich verkaufe, denn auch die ist ja mit Sensorik ausgestattet. Das lässt sich dann genauso über IoT-Konjunkturen vereinnahmen.

 

Systeme als Impulsgeber für neue Geschäftsideen

connect professional: Somit ist das eine neue Art und Weise, ein ERP-System zu nutzen?
Knorr: Richtig. Früher haben unsere Bestandskunden gesagt, dass sie ein ERP benötigen, um Bestellungen anlegen und Rechnungen schreiben zu können. Das war es im Wesentlichen – da wurde das System also ganz schlank eingeführt. Jetzt sehen unsere Kunden, was mit IFS Cloud möglich ist und welche Prozesse sie da implementieren können. Auf dieser Basis entwickeln sie neue Geschäftsmodelle. Durch diese Möglichkeit, Assets auch im System zu haben, kann ich auf einmal auch einen After Sales Service anbieten, weil die Daten ja da sind. Das ist einer der Hauptvorteile eines integrierten ERPs.

connect professional: Das ERP weitet sozusagen den Horizont von einzelnen Abteilungen im Unternehmen?
Knorr: So könnte man sagen. In der Vergangenheit hat man oft gedacht hat, Prozesse in Unternehmen seien relativ gekapselt. Man hat also sein HR, ein CRM, Lieferantenbeziehungen, Supply Chain und die Fertigung. Im Laufe der Zeit hat man dann aber festgestellt: So gekapselt sind die Prozesse gar nicht. Stattdessen gibt es Interaktionen und Interferenzen in alle anderen Bereiche.
Denn ob ein Mitarbeiter krank oder im Urlaub ist, ist auch für die Produktionsplanung wichtig. Zudem sind auch die Skills, die ein Mitarbeiter hat, für die Planung von Servicearbeiten relevant. Hier kommen möglicherweise nur bestimmte Mitarbeiter mit einer speziellen Qualifikation in Frage. Solche Skills sind klassisch im HR beheimatet. Und auch der Einkauf spielt eine Rolle: Wenn zum Beispiel ein bestimmtes Bauteil, das bestellt wurde, verspätet eintrifft, weil der Lieferant gerade Lieferschwierigkeiten hat, dann hat das Auswirkungen auf die Produktion.

connect professional: Haben Sie noch ein Beispiel?
Knorr: Wir haben einen Kunden, bei dem die Muttergesellschaft eine S4/Hana-Strategie vorgegeben hatte. Die Tochter hat sich jedoch für IFS entschieden. Das Argument war, dass sie Engineering, Herstellen und den Service dieser Anlagen als ihr Business identifiziert haben. IFS kann diese drei Dimensionen in einem Produkt abdecken. Man braucht kein separates Produkt-Datenmanagement, es lässt sich die komplette Produktion über die Projektfertigung abwickeln, und die Daten hat man ohnehin schon im System. Das heißt, sobald ein Unternehmen eine Maschine produziert hat, wird ein Asset erstellt, für das man die Geräte-Akte und eine End-to-End-Historie hat. Und für dieses Asset beziehungsweise die Maschine wird dann noch Service erbracht. Wenn zum Beispiel auffällt, dass relativ häufig der gleiche Mangel beim gleichen Maschinentyp vorkommt, dann lässt sich das in die Konstruktion zurückspielen; die kann Veränderungen an dem Bauteil vornehmen, so dass dieser Mangel nicht mehr auftaucht.

connect professional: Manufacturing heißt nicht nur, etwas zu produzieren, sondern auch noch entsprechende Services zum Produkt anzubieten, dabei spielt das Field Service Management eine Rolle. Was ist dabei die größte Herausforderung?
Knorr: Wenn man ein Team von 200 Service-Technikern hat, die unterteilt sind in verschiedene Abteilungen, dann klingt das relativ einfach: Man teilt die hereinkommenden Service-Aufträge einfach den 200 Leuten zu. Aber jetzt kommt der Haken: Wie teile ich sie denn zu? Da gibt es verschiedenste Aspekte zu bedenken: die Entfernung zum Einsatzort, Skills der einzelnen Mitarbeiter, Daten zur aktuellen Verkehrslage, welche Aufträge kann man an einem Tag überhaupt abarbeiten? Wir haben über 20 Algorithmen, die all diese Dimensionen in höchster Komplexität planen können, um die sinnvollste Planung für die Servicetechniker zu machen; dabei wird auch die Kostensicht und First Time Fix Rate berücksichtigt.

connect professional: Sie erwähnten, dass Unternehmen mitunter erst durch die Möglichkeiten von Systemen auf Ideen und neue Geschäftsmodelle kommen. Lassen Sie uns daher abschließend noch einen Blick auf den Reifegrad von Unternehmen im DACH-Markt werfen: Wie schätzen Sie diesen aktuell ein?
Knorr: Der Reifegrad ist in den letzten fünf Jahren deutlich gestiegen. Ich selbst hatte vor fünf, sechs Jahren angefangen, mich mit dem IoT-Thema zu beschäftigen. Am Anfang kamen die Ideen bei allen gut an. Fragte man dann an, wie es mit der Realisierung aussieht, dann hieß es oft: „Wir schauen mal.“ Das steckte alles noch sehr in den Kinderschuhen. Gefühlt sind die Unternehmen nun deutlich offener geworden. Aber wir sind noch lange nicht da, dass jedes Unternehmen das schon heute im Einsatz hat.

6. Juni 2023, 9:00 Uhr | Interview: Sabine Narloch

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